15. Juni | Café Schmitz
Das Journal ist ein Katalysator, mich zu erinnern, was ich vergessen kann.
14. Juni | Innenstadt
Sollte es einen Beweis für meine überdurchschnittliche sprachliche Begabung geben, liegt dieser nicht in meinen Texten, sondern in der hasardeurhaften rhetorischen Geschicklichkeit, in einem zufälligen, unausweichlichen Gespräch mein Gegenüber im Glauben zu lassen, ich wisse, wer dieser Mensch sei und woher wir einander bekannt seien.
13. Juni | Bett
Peter Wawerzinek hat mir in der Nacht folgende Zeilen ins Journal geschrieben: Gleichgültigkeit Unendlichkeit / Lag im Bett. Überdachte die Unendlichkeit / den Unterschied von einer zur anderen Unendlichkeit / bis mich schwindelte.
12. Juni | Stadtgarten
Der erste richtige Sommertag, ein kurzer Plausch im Park mit Ralf König – und wie immer, wenn ich ihn zufällig treffe, ist er adrett gekleidet, Gesamtauflage sieben Millionen, mit Hut oder zumindest mit einem fancy Comic-Shirt, ich dagegen, mit Hund, komme jedesmal nachlässig daher wie ein erfolgsunabhängiger Privatier. Ja, nun, und…
11. Juni | Bett
Bin eher dem seichtem Boulevard als der cordhosenhaften Germanistik zugeneigt (und war es wohl schon immer): An der neuen Rilke-Biografie, die ich heute auszugsweise lese, interessiert mich am ehesten seine Spanienreise, die augenblicklich Fernweh nach der Staubhitze von Ronda auslöst, sowie die Passage über die Elegien, seine Pimmelgedichte, wie sie Wolfgang Herrndorf mal nannte. Besser geht nicht.
10. Juni | Tierpark Dünnwald
Ein Wurf Frischlinge, übereinander, verknäuelt, Beine, Öhrchen untereinander, ineinander gekuschelt, ein einziger gestreifter Fellhaufen: so ziemlich meine Idealvorstellung von Familie, sonntags im großen Bett, gegen viertel nach zehn.
09. Juni | Küche
Durch Zufall entdecke ich Arnold Odermatts Rolleiflex-Fotoserie Karambolage: Autowracks wie Skulpturen, wie Gemälde auf den Dorfstraßen um Luzern – ein umgekippter Blumentransporter, eine nachgezeichnete Schlangenlinie, ein Käfer am Tunnelpfeiler, menschenleere Szenerie; was gut ist, muss naheliegen, denke ich – Kanton Nidwalden, eine Dunkelkammer in einem alten Toilettenhäuschen, ein Provinzpolizist.
08. Juni | Hansaring
Spaziergang, offene Fragen: Ein Elektro-Fachgeschäft mit Wir–haben–geöffnet-Schild hinter runtergelassenem Rollgitter, an den Laternen ringsum sucht jemand jemanden, letzte Bar, letzte Bahn und seitlich im Bild: ein Lastenrad mit großflächiger Werbung für eine Autoglas-Reparaturfirma. Zuhause Limonade, Siesta.
07. Juni | Buchhandlung
Regen, Wind, Gewitter, Sonnenschein; ich entdecke die Gedichte von Miron Białoszewski, in Dagmara Kraus‘ glänzender Übersetzung, plaudere mit einer Erasmus-Studentin aus Turin über Bernhard und natürlich Pavese (sie kauft Gehen und irgendein anderes Taschenbuch); die Gedichte werden bei mir bleiben, ob sie je wiederkommt, wer kann das sagen?
06. Juni | Bett
Es hängen neue lichtabweisende (schreckliches Wort eigentlich) Vorhänge im Schlafzimmer, seit kurzem; die ersten Tage hat ein Kaktus auf der Fensterbank unmerklich winzige Löcher gerissen – nun bringe ich P zu Bett, draußen ist es noch hell und die weißen Lichtpunkte im dunklen Raum sehen aus wie der Sternenhimmel, zuhause in Griechenland.
05. Juni | Sofa
Dachte schon, ich könnte nicht einschlafen; Dann kam irgendwas Kluges über Thomas Manns Felix Krull (ich glaube, es war Krull), mit eingeschobenen Spielfilmszenen (ich glaube, es waren Spielfilmszenen) und schon war ich weg.
04. Juni | Eigelstein
Schreiben ist die schwerste Arbeit auf der ganzen Welt.
03. Juni | Espresso Perfetto
Lustige Zufallslektüre: in Lyon trifft Uwe Wittstock Olivier Mannoni, den französischen Übersetzer von Mein Kampf, zum Interview – dieser erzählt, er habe acht Jahre für die Arbeit gebraucht: zwei Jahre für die eigentliche Übersetzung, und dann, nach Einwänden des Herausgebers, sechs Jahre, um all die syntaktischen Fehler, zwanghaften Wiederholungen und sprachlichen Unzulänglichkeiten einzubauen, um also das miserable Deutsch ein ebenso miserables Französisch zu bringen.
02. Juni | Sofa
Sehe Basil Deardens The Assassination Bureau, was ein ziemlicher Quark ist, extrem witzig ist allerdings, dass ich bei anschließender Netzrecherche zum Film lese, dass im Vorspann Curd Jürgens‘ Name falsch geschrieben steht (nämlich Curt Jurgens); ich denke immer nur im Zusammenhang mit ausgerechnet diesem Zitat an ihn: Es ist mir egal, was die Presse über mich schreibt, Hauptsache, die schreiben meinen Namen richtig. Überlege kurz, ob der Fehler ein Scherz sein könnte.
01. Juni | Et Kapellche
Während der gemeinsamen Lesung mit Gundula Schiffer kommt die Rede irgendwann auf Marguerite Duras und ihre Eifersucht bei der Lektüre der Genesis, die sie am liebsten selber geschrieben hätte. Merke: mal wieder Duras lesen!
31. Mai | The Factory
Lange Nacht der Lyrik im Belgischen: lausche José, Alexandru, Simone, Martin und all den anderen, sitze schwitzend mit Zappes auf den Treppenstufen, runter zum Backstage, mein Blick fällt auf ein Ausstellungs-Plakat, darauf der Slogan: Heimweh nach neuen Dingen – ich nehme das später mit auf die Bühne als Motto für meine Texte.
30. Mai | Buchhandlung
Wenn Tellkamp für die Berliner Zeitung ein neudeutsches Sittengemälde dichtet, ist der Untergang des Abendlandes wirklich nah, sehr nah.
29. Mai | Café Toré
Um sich augenblicklich alt zu fühlen, genügt es, ein paar Seiten in der BELLAtriste zu lesen.
28. Mai | Weyerstr.
Ich benutze eine alte SZ-Ausgabe vom vergangenen Oktober als Unterlage, um mit dem Supermarkt-Sushi den Schreibtisch nicht zu versauen; dabei lese ich erstaunt, dass Markus Lanz in der 2000. Ausgabe seiner Talk-Sendung exakt 303 Mal „mmh“ oder „mhm“ sagte – ich frage mich, wer das zählt. Und wieso. Und warum ich es mir gemerkt habe. Und warum ich Supermarkt-Sushi esse.
27. Mai | Literaturhaus
Habe nur bei den Passagen von Ulrich Peltzer zugehört und einmal sagte er ein bemerkenswertes Wort, vielleicht ein Ausdruck, etwas Originelles; ich wollte es nicht notieren, dachte, schreib ich später ins Plankton – und nun fällt es mir nicht mehr ein und ich kann ihn ja auch schlecht fragen, was denn dieses eine bemerkenswerte, originelle Wort an diesem Regenabend in Köln war.
26. Mai | Stadtgarten
Ich bin nach wie vor überzeugt, dass ein Sich-Mitteilen (a) unmöglich ist bzw. (b, falls doch) es nichts besser machte.
25. Mai | Bett
Ein gedankenloser Tag, Aprilwetter, Bananenbrot, Stimmungsschwankungen; bei Polanskis Ghost Writer kämpfe ich gegen den Schlaf, freue ich mich über jene Szenen, in denen tonlos hinter bodentiefen Fenstern ein Hausangestellter bei Windstärke 6 vergeblich versucht, Gras oder Reisig zusammenzufegen – Sisyphos, wohin man schaut.
24. Mai | Küche
Über Crowdfarming kommt ein Karton, randvoll mit spanischen Orangen und Avocados. Ich lege sie einzeln auf den Küchentisch, betrachte sie, streiche über gespannte Oberflächen: ein Versprechen auf den kommenden Sommer; es könnte so gut sein, alles.
23. Mai | Zuhause
Vor kurzem habe ich eine Rolle billiges Geschenkpapier zerschnitten, auf links in zwei Bahnen an eine Wand im Schlafzimmer gepinnt: darauf neongelbe Post-its, Edding-Pfeile, Stichpunkte, in der Luft hängende Figuren, ihre Funktion in der Geschichte; sieht aus wie eine Cold Case Ermittlung in einem Krimi – und eigentlich, ja, Cold Case trifft es ganz gut, auch hier, an der Schlafzimmerwand…
22. Mai | Maybachstr.
Heute kam mir auf dem Gehsteig ein Mensch entgegen, wir näherten uns, ein aufgefangener Blick, ein leises Lächeln, von mir erwidert, bis wir uns von Angesicht zu Angesicht anstrahlen, aneinander vorüber gehen, uns verlieren; den ganzen Tag trage ich diese paar Sekunden in mir.
21. Mai | Stadtbibliothek
Anderland: Boris Becker zeigt Fotografien vom Arbeitsplatz seines Vaters, groß aufgezogen in schwarz-weiß, man sieht seine abgelegte Armbanduhr auf einem Haufen Papiere, erkennt einzelne Buchtitel, schief im Regal (Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge) – es ist, wie Sabine Küchler anmerkt, als käme er jeden Moment zurück, mit frischer Zeitung und Zigaretten; eine Nähe, die mir eigentlich nicht zusteht, da ich ihn kaum kannte, außer in seinen Gedichten. Eine Nähe, die mir sehr angenehm ist.
20. Mai | Goldjunge
In den vergangenen Tagen habe ich einige bemerkenswerte Bücher gelesen: Barbi Marković amüsierte mich mit einer taschenspielertrickartigen Poetikvorlesung – alles nicht so richtig neu, dafür rasant und witzig -, Bachmanns Büchnerpreisrede von 1964, die mich auf eine Cut-up-Idee für mein zähes Buchprojekt brachte und zudem Kolumnen von Lispector, verletzlich und messerscharf, man kann nicht aufhören; ab morgen der neue Ocean Vuong: hoffen, dass die Serie hält.
19. Mai | August-Sander-Park
Lyrikpreis des Mondseelandes an Christian Filips: ist absolut okay, ich hätte ihn zwar mir gegeben, aber gegen solch ein geheimnisvoll-herausforderndes Autorenfoto habe ich letztlich klar das Nachsehen.
18. Mai | Feuer & Flamme
Ein Literaturstipendium ist die zuverlässigste Methode, jemanden vom Arbeitsplatz fernzuhalten, noch vor Wasserrohrbrüchen und Brechdurchfällen.
17. Mai | Sofa
Abends will ich nur kurz in Dinçers Theateradaption seines Deutschlandmärchens am Gorki reinschauen, aber kann den Blick nicht lassen; man muss das lieben: Diesen kindlichen Spieltrieb, die Authentizität, den Humor: jede Szene, jeder Atemzug trägt Dinçers Handschrift, er steht ein für dieses Stück, mit seinem Leben – später schicke ich ihm eine Nachricht, sage ihm, wie großartig dieses ganze Märchen ist, wie großartig und wie wertvoll.
16. Mai | Buchhandlung
Ich gebe ein Zoom-Interview zur bevorstehenden Anderland-Veranstaltung; Lea Sauer ist sehr nett, fragt mich nach der Kölner Lyrikszene, ich lasse sie im guten Lichte erscheinen, lebendige Off-Szene, engagierte Verlage, vielstimmig, sage, in Berlin und Leipzig hätte ich mich öfter gelangweilt; keine Ahnung, ob das stimmt.
15. Mai | Weyerstr.
Gestern, beim Tannenzäpfle in einer altbekannten Bonner Bar wollte ich unbedingt neben Dominik Dombrowski sitzen; weil wir uns länger nicht gesehen hatten, weil ich gern mit ihm über Gedichte rede und weil er immer so unglaublich gut nach frischem Tabak duftet.
14. Mai | Linie 16
Auf dem Weg zu einer Lesung in Bonn, ich sehe aus dem Fenster: Der Schatten der Oberleitung rennt über Stock und Stein, springt über Böschungen, die gelben Felder bei Uedorf und gleicht dabei der Silhouette einer lachenden Kuh beim S-Bahn-Surfen.
13. Mai | Café Italia
Ich durchstreife meine Notizhefte, finde dabei folgenden Eintrag (vom November 2019): je weiter entfernt Menschen vom Äquator leben, desto häufiger mögen sie helle Farben; ich mag diese Idee und werde sie nicht überprüfen.
12. Mai | Lindenthal
Die Frage, warum Sie dies hier lesen ist deckungsgleich mit jener, warum ich es aufschreibe.
11. Mai | Küche
Trost ist eine knapper werdende Ressource, immer schwieriger zu bergen; klebrige Nougat-Schokolade, Cheddar, Marqués de Riscal – flächendeckende Dominanz kümmerlicher Surrogate.
10. Mai | Buchhandlung
Habe heute Mittag auf der Straße Alice Schwarzer die Hand geschüttelt und ihr gesagt, dass ich mich immer freue, sie zu sehen (sie hat mich angestrahlt, sich bedankt und geantwortet, dass dies ja nun nicht oft der Fall sei).
09. Mai | Törtchen Törtchen
Enorme Unruhe, Verstreutes; komme nicht dahinter, wie es zu Lee Millers Foto in Hitlers Badewanne kam. Mittagspause in der prallen Sonne, schwarzer Kaffee und der neue Essayband von Milo Rau, darin unter vielerlei Großartigkeit dies: Kunst ist die Melancholie der gescheiterten Revolution.
08. Mai | Stadtgarten
Wieder kein Wellershoff-Stipendium; in der Dämmerung an jeder Kreuzung einer, der auf einen wartet.
07. Mai | Zuhause
P beginnt zu laufen und mir wird bewusst, wie eng verbunden die Lehre vom Gehen mit jener vom Fallen ist.
06. Mai | Coffee Fellows
Als man Kind war, hieß der Konjunktiv noch Möglichkeitsform, das waren verheißungsvolle Zeiten…
05. Mai | Zuhause
Kurze Nacht: stehe am Schlafzimmerfenster, sehe am Ende des Parks zwei Menschen in bunten Klamotten, drehen Pirouetten, recken die Arme in die Luft, einander zugewandt – unklar, ob das morgendliches Yoga oder der letzte Tanz der Nacht ist; ich kann meine Hose nicht finden, stoße mir den Zeh am Bettpfosten: kurze Nacht.
04. Mai | Museum Ludwig
Ich betrachte Modersohn-Beckers Worpsweder Landschaft, gekippte Bäume, das vom Wind gebeugte Haus, sein fliehendes Gemäuer und dann, wenige Schritte entfernt, Tableau I von Mondrian, gänzlich ohne Grün, die absolute Abwesenheit der Natur – konträrer können Ideen kaum sein und ich, über hundert Jahre später, habe das Glück, beiden Glauben zu schenken.
03. Mai | Buchhandlung
Heute, im Herbstprogramm von Matthes & Seitz, überfliege ich die Biografie von César Aira – dessen Geburtsort heißt tatsächlich Pringles, irgendwo bei Buenos Aires. Ich muss schmunzeln und als ich später aus zügelloser Neugier Pringles bei Wikipedia eingebe, erfahre ich dann auch noch, dass der Erfinder der patentierten Chips-Verpackung nach seinem Tod in einer Pringles-Dose bestattet wurde – kann man sich nicht ausdenken alles, Nachmittag gerettet.
02. Mai | Bastians
Colm Tóibín – und das stimmt versöhnlich – sieht sich selbst als occasional poet; die Gedichte aus Vinegar Hill gehören zum Schwächsten, was ich seit langem gelesen habe (das Buch als Gefälligkeit unter alten Kumpels, scheint mir). Der Schuster, die Leisten…und bei Sonnenschein soll man ohnehin keine Lyrik lesen.
01. Mai | Sofa
Am Tag des Todes von Manuel Cáceres Artesero (Manolo el del Bombo) geht Athletic Bilbao mit dieser Aufstellung ins Europa League-Halbfinale gegen Manchester United im ausverkauften San Mamés: Julen Agirrezabal – Yuri Berchiche, Yeray Alvarez, Dani Vivian, Óscar de Marcos – Mikel Jauregizar, Iñigo Ruiz, Nico Williams, Álex Berenguer – Iñaki Williams, Maroan Sannadi.
30. April | Küche
Heute mäanderte ich etwas zu lang durch die Headlines des Boulevard, allerorten Niedertracht und Unfug; nicht mehr aus dem Kopf geht mir die Personenbezeichnung Steakhaus-Erbin, das muss man sich mal vorstellen: Die Post – ich habe ein Paket für die Steakhaus-Erbin! Da vorne, an der Ampel, ist das nicht die Steakhaus-Erbin? Nein, Sie haben sich verwählt, hier ist nicht das Teppich-Luder, hier ist die Steakhaus-Erbin!
29. April | Dreiviertel
Für die ZEIT besucht Lars Weisbrod Sibylle Berg in Straßburg, begleitet sie zu einer Plenarsitzung des EU-Parlaments; sie, in Diensten der Partei, lädt ihn in ihr Büro am Ende des Flurs, auf der Fußmatte der Slogan: Kaufe nichts, ficke niemanden.
28. April | Literaturhaus
Weiß nicht, ob es etwas Demütigenderes gibt, als bei einer Veranstaltung nicht auf der Gästeliste gefunden und abgewiesen zu werden: Nee sorry, ist hier nicht drauf. Ich beobachte den Einlass zur Röggla-Lesung, steigere mich so in diese Szenerie, dass ich mich nicht abwenden kann; einmal wird es kurz knapp, es dauert, dann der erlösende Kuli-Strich: Gerne, herein, viel Spaß, Herr Wurmberger. Der Praktikant, kaum zwanzig, als Gatekeeper, das wiederum gefällt mir.
27. April | Pegel Köln, Kilometer 688
Ab und zu Ruderer, flussabwärts, suchen die Strömungslinie; ein vor sich hin rostender Tag, die Vermeidung seiner irreführenden Metaphern.
26. April | Sofa
200 Substantive aus Winnetou I (Regie: Harald Reinl): Abend, Abenteurer, Abschied, Achtung, Ärger, Angst, Anweisung, Arbeiter, Auge, Aufseher, Ausweg, Auftrag, Bahnbau, Bandit, Barrikaden, Benehmen, Beschützer, Bewegung, Blei, Bleichgesicht, Blitz, Blut, Blutbad, Boss, Bote, Brandpfeil, Bruder, Büffel, Büchse, Bursche, Camp, Deckung, Drecknest, Ehrgefühl, Eindringling, Essig, Dame, Deckung, Depesche, Depot, Desperados, Dollar, Einfall, Entscheidung, Erde, Eroberer, Fall, Faust, Feigling, Feind, Feuer, Feuerross, Feuerschutz, Feuerwasser, Finsternis, Freund, Frieden, Frühstück, Fuchs, Gaul, Gebiet, Gebräuche, Gefängnis, Gedanke, Gegend, Gegner, Geist, Geld, Gentleman, Gesetz, Gewehr, Gold, Gottesurteil, Greenhorn, Habgier, Hände, Häuptling, Heimat, Henne, Herz, Hut, Idiot, Indianer, Jagdgründe, Jericho, Kampf, Kanu, Katastrophe, Kerl, Kontrolle, Krieger, Kriegsbeil, Kriegsbemalung, Kummer, Kumpane, Land, Lagerfeuer, Lagerplatz, Lauer, Leben, Leute, Liebe, Lokomotive, Lüge, Lügner, Luft, Märchen, Mann, Marterpfahl, Material, Meile, Menschen, Mörder, Mond, Mühe, Mund, Munition, Mut, Nachschub, Nacht, Narr, Öl, Ordnung, Osten, Oxford Times, Partner, Patschehändchen, Pech, Pfeil, Pferd, Pioniere, Posten, Prärie, Presse, Prozess, Proviant, Rache, Recht, Saloon, Schicksal, Schiene, Schnelligkeit, Schritt, Schule, Schuss, Schwester, Schwierigkeiten, Schwur, Señorita, Sichel, Sieger, Skalp, Sohn, Sonne, Spitzel, Sprengstoff, Spur, Stahl, Stall, Stamm, Stollen, Stein, Strecke, Süden, Tabak, Tänzchen, Tochter, Tod, Todfeind, Tomahawk, Trommel, Übel, Umleitung, Unheil, Unrecht, Unsinn, Vater, Vermessung, Verzeihung, Volk, Vorsicht, Waffen, Wagen, Wahnsinn, Waschlappen, Wasser, Weg, Westen, Widerstand, Wiedersehen, Wirklichkeit, Wigwam, Wunde, Wunsch, Zeit, Ziel, Zorn, Zündschnur, Zug, Zunge.
25. April | Buchhandlung
An einem ruhigen Morgen räume ich in den deutschen Novitäten herum, schlage einige Bücher auf – schnüffeln, einen guten Satz zum Ankern finden – und plötzlich in der Harry Rowohlt-Biografie (von Alexander Solloch) dieses Zitat aus einem Brief von 1970: Wenn ich nicht so schön wäre, ich wüsste nicht, was ich machen soll. Ich habe danach längere Zeit sehr gute Laune.
24. April | caffé conte
Ein Mann tippt 16 Jahre lang die Zahlen von eins bis eine Million (als Wortfolge), verbraucht dabei sieben Schreibmaschinen und posiert nun zwischen meterhohen Blätterstapeln für die Presse; vor dem Hofbräuhaus stehen gestern um zwanzig vor elf die Menschen Schlange und ich kaufe mir bei Lehmkuhl eine Ausgabe vom Buch der Unruhe: jeder versucht, nicht durchzudrehen, so gut er kann.
23. April | Museum Brandhorst
Am 4. Juli 1952 schrieb Robert Rauschenberg eine Postkarte an Cy Twombly: From the middle of the street: “Hello“
22. April | München
Das Kräfteverhältnis der örtlichen Fanszene, ausgehend von Aufkleber-Sichtungen an Laternenmasten, Ampeln o.ä. im Bezirk Freimann, innerhalb eines einstündigen Spaziergangs: TSV 1860 27, FCB 17 (zudem je 1x Grasshoppers Zürich & Hansa Rostock).
21. April | München
Virginia Woolfs südeuropäische Reiseaufzeichnungen sind weitgehend bieder und belanglos, aber für die Sehnsucht nach Zypressen und Zikaden reicht es dicke.
20. April | ICE 621 bei Aschaffenburg
Man liest den Spiegel-Artikel über die 100 besten Bücher der Welt nicht, um sich nicht fürchterlich aufzuregen; dann liest man ihn und regt sich fürchterlich auf.
19. April | Buchhandlung
Heute, vor Ladenöffnung, beschaue ich zum ersten Mal in Ruhe mein ins Türkische übersetzte Gedicht der raum dazwischen (Ü: Aysen Ritzauer: ARADAKİ MEKÂN), welches mich kürzlich im Amsterdamer Hotelbett erreichte; seltsam, diese so fremde Zeichenfolge, einzig das Wort vantilatörün kann ich mir herleiten. Seltsam und schön.
18. April | Café Schmitz
Lese in der SZ über das neue Buch von Roberto Saviano, darin erzählt er vom Rat eines Mafia-Bosses an seine kleine Tochter, dass es Unsinn sei, aus Liebe zu heiraten, da diese enden kann, aber eine Ehe nie enden dürfe; seine eigene hielte nur deshalb, weil er seine Frau, ihre Mama, eben nicht liebt. Ein kurzes Schaudern, rufe im Buchladen an, schlage die taz auf.
17. April | Amsterdam
Jährlich werden aus den Grachten – so erzählt man uns auf einer Bootsfahrt – rund zwanzigtausend Fahrräder geborgen, aber nur fünfzig Autos; ich nehme das als weiteres Indiz für eine gelungene Verkehrswende.
16. April | Amsterdam
Auf Stippvisite im English Bookshop (über dem Eingang das Steinbeck-Zitat: I guess there are never enough books) finde ich ein Exemplar vom Catcher in the Rye, für 20€, L sagt, es sei zu teuer, ich hätte genug Ausgaben; anschließend geben wir bei Tony’s Chocolonely Superstore 25€ für Schokolade aus und sind glücklich.
15. April | Zandvoort
Drei Kinder in bunten Badehosen laufen zum Meer, beim ersten Kontakt weichen sie zurück, verharren bald in einer Tiefe zwischen Knöchel und Knie; wir schließen Wetten ab, ob sie es wagen – wir gewinnen. Später sehe ich sie nochmal, Rad schlagen im trockenen Sand.
14. April | Amsterdam
Hotel der dünnen Wände: Morgens werde ich von heftigem Regen geweckt, bis ich realisiere, dass nebenan jemand duscht, ich die Augen öffne und in einen vollkommen wolkenlosen Himmel blicke.
13. April | Sofa
Wegen Adolescence habe ich vorerst wieder Netflix – nachts kann ich nicht schlafen, gucke alte Pastewka-Folgen und es hat sich bereits gelohnt.
12. April | Buchhandlung
Von Wallstein kommen die ersten Belege der horen, ich kontrolliere die Beiträge, wiege es in meinen Händen und spüre noch immer dasselbe heilige Pochen, zum Glück.
11. April | Gürzenich
Ls Debütantenball, spätabends auf der Toilette: Jungs in zu großen Anzügen tippen in Telefone, fummeln an ihren Ponys, trocknen ihre schwitzigen Achseln unter Verrenkungen am pfeifenden Händetrockner.
10. April | Ehrenstraße
Am liebsten würde ich jeden Abend mit Adrian Kasnitz bei einer Literaturveranstaltung herumstehen, unbeteiligt, lässig, am Rand der Verhältnisse und dabei Bier trinken; ab und zu neigen wir dir Köpfe zueinander und sagen etwas Dummes, aber sehr Lustiges.
09. April | Balkon
Folge Karl Marx zum Barbier in Algier, ins Kasino von Monte Carlo, lese die deprimierend leuchtende Prosa Tor Ulvens, dazu ein paar Gedichte von Gustafsson und Warzecha, bräuchte Zeit, viel, viel mehr Zeit für das alles; stattdessen Kartoffeln schälen, Hermes-Retouren, Französischvokabeln abhören.
08. April | Bett
Ich habe ein äußerst privilegiertes Leben, bekomme aber nur wenig davon mit.
07. April | Filmhaus
Ich habe den Film Mond (von Kurdwin Ayub) gesehen, über dessen Inhalt ich zu keinem nennenswerten Urteil komme, aber das Spiel von Florentina Holzinger ist selten, sehr, sehr selten und besonders; man fragt sich ohnehin, was sie denn nicht kann? Kochen? Curling? Ein Taxi auf portugiesisch rufen?
06. April | Zuhause
P träumt vor sich hin, zeigt auf das Plakat vom Verlagshaus Berlin an der Innenseite der Klotür, fragt, was darauf steht. Da steht: Was ist jetzt? sage ich. Sie schaut mich an: Frühling, sagt sie.
05. April | Hamburg
In einem Linienbus Richtung St. Pauli entdecke ich eine sogenannte Buchhaltestelle: gebrauchte Bücher zum Lesen und Leihen, in einem Plexiglaskasten; ich ziehe ein zufälliges Taschenbuch raus, es heißt Liebling, vergiss die Socken nicht! und da ich noch eine Station Zeit habe, lese ich den letzten Abschnitt: Wir können nicht weg. Warum denn nicht, fragte Adam beunruhigt. Weil Dad vergessen hat, und dabei trat sie zurück, damit alle die belastenden Beweisstücke sehen konnten, die Spülmaschine auszuräumen!
04. April | Hamburg
Nach der Lesung werden Nasima Razizadeh und ich vom Veranstalter in ein Lokal gelotst, wo es Bier aus Krügen gibt und auf jedem Tisch riesige Bastkörbe mit Erdnüssen stehen; es ist üblich, die geknackten Schalen auf den Boden zu werfen; so waten und wanken wir am Ende der Nacht über einen knisternden Teppich aus Erdnussschalen, draußen schütteln wir uns die Hosenbeine aus und streichen über unsere Bäuche.
03. April | Sofa
In einem Dorf im Elsass steht die letzte französische Telefonzelle, man kann dort keine Anrufe tätigen, nur welche entgegennehmen (die Nummer wurde kürzlich in Paris Match veröffentlicht), manchmal kann man mit jemandem sprechen, zufällig, wenn jemand das Klingeln hört, wenn jemand abnimmt, ein Passant, ein Neugieriger. Hatte glücklicherweise die SZ-Ausgabe aufbewahrt vom vergangenen Sommer und eben wiedergefunden, weil mir die Geschichte damals so gefiel.
02. April | Rathenauplatz
Im Bücherschrank verrottet windschief zerlesener Müll und der Himmel imitiert einen Frühling bei 9 Grad; ich fahre vor den Augen der Polizei unbehelligt über Rot und bald erscheint das Hörbuch zu Solo für Phyllis – insgesamt überwiegt das Gute an diesem Tag.
01. April | Maybachstr.
Vor 20 Jahren starb Thomas Kling – ich wohne seiner einstigen Kölner Wohnung gegenüber, etwas versetzt; manchmal auf dem Weg zum Kiosk schaue ich hoch, versuche das Fenster seines Arbeitszimmers zu orten: es bleibt, wie so vieles, unklar und er mir: gegenwärtig.
31. März | Küche
Sehe auf arte ein Interview mit Jonathan Meese, der mittlerweile optisch und weltanschaulich immer mehr Hermes Phettberg ähnelt. Kein Problem, Johnny, ich mag euch beide.
30. März | St. Gereon
Habe das pink gesprayte Wort Beutemensch auf einem Stromkasten fotografiert; erst später zuhause sehe ich, dass da Heutemensch steht. Auch gut.
29. März | Buchhandlung
Heute hat eine bekannte Künstlerin ihren Einkaufszettel (Bleistift auf Post-it) in der Lyrikauslage vergessen, darauf: Wein, Mottenkiller, scharfe Sauce.
28. März | épi
Ich schreibe so gut wie nichts, seit Wochen, obwohl ich müsste; schon dieses Journal ist genug Aufregung – allein, dass ich nicht weiß, wer es liest (ohne diese theoretische Öffentlichkeit hätte ich vielleicht schon aufgehört).
27. März | Balkon
Hätte heute gern ein Leben, in dem ich nach Leipzig fahren könnte, einfach so; albern ist das, albern und ein auch bißchen wahr. Bummel die kommenden Tage weniger auf social media und baue einen Legoturm. #fomo #lbm25
26. März | Küche
An manchen Tagen sind die Emails im Spam origineller als jene im regulären Posteingang: heute neben dem obligatorischen nigerianischen Geschäftsmann, der mir 25 Millionen Dollar schenken möchte und mehreren russischen Mädchen, die mich gleichzeitig zum Date einladen, auch dies: jemand bittet mich höflich um ein Autogramm auf einer entsprechenden Karte für seine Sammlung, Porto wird übernommen; was soll ich dazu sagen?
25. März | Weyerstraße
Stand ein paar Minuten vor der Trinkhalle Feldmann in der Sonne und habe an nichts gedacht.
24. März | Buchhandlung
Gestern nach der Signierstunde erzählt Tomas Espedal, dass seine Frau ihm nach der Geburt ihres Kindes das Rauchen verbot; und wie er seitdem, manchmal spätabends das Haus verlässt, in den grünblauen nordnorwegischen Himmel blickt, sich Stoffhandschuhe überzieht und heimlich raucht – so menschenleer und friedlich sei die Natur und die verbotenen Zigaretten so gut wie seit 1976 nicht mehr.
23. März | Good Food
Irgendwo bei Jamaica Kincaid wird geschildert, wie eine Mutter ihrer kleinen Tochter das Daumenlutschen abgewöhnte – nämlich indem sie deren Hände in einen Behälter mit Wasser tauchte, mit dem zuvor im Dorf ein Toter gewaschen wurde; weiß nicht mehr, wo ich das gehört habe und auch nicht mehr, ob es eine tatsächliche Begebenheit oder Literatur war; als ob es einen Unterschied gäbe…
22. März | WDR
Während Wolf Haas drinnen seine Show macht, lese ich im Schneidersitz in einigen neuen Bänden, ein paar gute Gedichte von Slata Roschal und Eva Maria Leuenberger und zum hundertjährigen Geburtstag im Gatsby; immer noch einer der schönsten letzten Sätze, die ich kenne: So we beat on, boats against the current, borne back ceaselessly into the past.
21. März | Bastians
Tagundnachtgleiche. Ein schönes Wort. Tagundnachtgleiche, eine romantische Idee.
20. März | Café Schmitz
Ein spätes französisches Frühstück, dazu überblättere ich fast die komplette Süddeutsche: Baerbocks Nominierung für den Vorsitz der UN-Generalversammlung, ganzseitig, weg, der Heyne-Verlag nimmt einen Bestseller vom Markt, irgendwer hat was zu viel erfunden, weg, Masern-Epidemie in München? Hm, ich bestelle noch einen Kaffee, höre zu, wie eine junge Mama am Nebentisch vom ersten Babyschwimmen erzählt, höre zu, wie Geschirr klappert, Croissantreste zerbröseln in den Sportteil.
19. März | Stadtgarten
Frank Schäfers neues Buch über Brinkmann zeigt den Abdruck der Todesmeldung aus der BILD-Zeitung unter „Kurze Nachrichten“: Deutscher Dichter tot (dpa, London, 26.4.) Der 35jährige Dichter Rolf Dieter Brinkmann ist in London von einem Auto überfahren worden. Er starb.
18. März | Niehler Freiheit
Im Vorfeld der Vinyl-VÖ von OPOLE soll ich für Promozwecke auf einer ausgeleuchteten Bühne (mit obligatorischem Teppichflickwerk und Bühnennebel) so tun, als spräche ich meine Texte ins Mikro, während ich von zwei Kameras gefilmt werde und der Gitarrist neben mir so tut, als spielte er Gitarre; jedes Mindestmaß an Timing überfordert mich, man lächelt milde, ok, noch eine Runde; es ist mir völlig unklar, wie ich das jemals live vor Publikum hinbekommen soll.
17. März | Mediapark
Am Morgen erfahre ich vom Tod Peter Bichsels, der mich traurig stimmt; ich weiß noch genau, wie ich vor ein paar Jahren, unterwegs zu den Solothurner Literaturtagen, erstmals Eisenbahnfahren las, wie ich ihn so gern in der Kaffeehalle getroffen hätte und stattdessen mit Schirach und Schalansky Vorlieb nehmen musste – und wie ich bald danach genau darüber ein Gedicht schrieb, welches kommenden Herbst erscheinen und das er nun nie lesen wird.
16. März | Sofa
Letztens schalte ich zwischen sage und schreibe drei gleichzeitig laufenden Talkshows hin und her, die Quote von wenigstens ansatzweise interessanten Menschen oder Gesprächen lautet: MDR 0 (von acht), NDR 0 (von acht), WDR 1 (von 5).
15. März | Sofa
Vormittags Peter Doherty und Frédéric Lo mit The Fantasy Life of Poetry & Crime, abends Sidney Lumets 12 Angry Men; keine einzige Frau im gesamten Cast und alle rauchen, ansonsten zeitlos, beides.
14. März | Buchhandlung
Eine unterhaltsame Plauderei mit Micky Beisenherz über ausgezogene Schuhe im ICE und den neuen Kracht (ich empfehle, er kauft), ich beneide ihn bald um die mittägliche Fahrt nach Berlin, während ich hier mit zunehmenden Erkältungssymptomen Bücherberge für die lit.COLOGNE in den zugigen Keller wuchte, während Gerüstbau Sowieso robust und rustikal am Nebenhaus lärmt, als läge dieses direkt hinter meinen Schläfen; abends schreibe ich mit letzter Kraft den Journaleintrag und hier ist er, hier endet der Tag.
13. März | August-Sander-Park
Letztens sagte Pep Guardiola in einem Interview sinngemäß, die besten Fußballspieler seien jene, die wüssten, sich im Chaos zu bewegen und ich frage mich seitdem, ob das für Künstler auch gilt.
12. März | Bonn
Schwer ist es, den Haribo-Laden links liegen zu lassen; unmöglich ist es, durch das Eingangsportal der Uni in den Hof zu blicken und sich nicht an einem Sommersemestertag 1999 zu begegnen – für den Bruchteil einer Sekunde, für immer.
11. März | Küche
Fahnenkorrektur für die horen, finde mehrere Fehler, beim Wäsche zusammenlegen bleibt eine Socke übrig; ich versuche vergeblich, Tickets fürs Anne-Frank-Haus im April zu reservieren, dann klingelt es unten zweimal, aber niemand kommt – ich nehme das alles so hin, bin froh, dass keiner anruft.
10. März | Sofa
Etgar Keret ist Schuld, dass ich heute kaum arbeiten kann; gestern, schon auf dem Weg zu Bett, wollte ich nur kurz mal in seine neuen Stories lesen, blieb dann barfuß für 169 Seiten auf dem Sofa: brennend, stark.
09. März | Museum Ludwig
Heute habe ich mir ein Bild von Helen Frankenthaler (Stroke of High Tide I) angeschaut, mir vorgestellt, ich säße am Fensterplatz, im Landeanflug auf Tunis, Saloniki, Fiumicino.
08. März | Buchhandlung
Entdecke eben eine Neuerscheinung aus dem Limmat Verlag. dessen Cover komplett identisch ist zu meinem Erzählen von Walen von 2021 – merkwürdig, immer wenn ich es sehe, denke ich, hey, mein Buch – hey, Spitzencover!
07. März | Sofa
Dialog im vorabendlichen Kinderfernsehen: Das Krokodil hat ja keine Strümpfe an! – Nein, das liegt daran, dass es ein Krokodil ist. Ich zwicke L in den Nacken, sie murmelt irgendwas, ich stecke meine Nase in ihre Haare, glaube, wir sind glücklich.
06. März | Kolumba
Gestern zum ersten Mal mit einem Nobelpreisträger gesprochen; nach seiner Lesung passe ich den Meister mit schütterem Pferdeschwanz ab, der, im Zuschauerraum zwischen den Stühlen, gerade ein Gespräch beendet hat: Good evening Mr Fosse, would you… – No, sorry (er legt kurz seine Hand auf meinen Unterarm mit den zu signierenden Büchern), it’s over.
05. März | Café Schmitz
The fine art of Prokrastination: in der WAZ (!) die komplette VfL Bochum-Kolumne lesen und einen ganzseitigen Artikel über die zunehmende Rattenplage in europäischen wie nordamerikanischen Großstädten (!!); zum Glück lenkt mich anschließend im Guggolz-Newsletter die Ankündigung eines Erzählbandes von Ásta Sigurðardóttir von allzu plumpen Analogien ab.
04. März | Keller
Ich suche ein bestimmtes Buch, sehe diverse Stapel durch, finde es nicht; stattdessen eine Packung Turrón aus Spanien und in Boves Bécon-les-Bruyères-Bändchen steckt ein Kassenbon aus dem Monoprix am Gare de l’Est, Proviant damals auf dem Weg zum Eiffelturm mit P: zwei Flaschen Mineralwasser, eine Tafel Vollmilchschokolade und Kaugummis; nun stehe ich da, esse klebriges Mandelzeug und träume von Paris.
03. März | Zuhause
So oft wünscht man sich mehr Zeit, mehr Ruhe, mehr Alleinsein – dann sind alle mal weg und schon ist mir das Bett zu groß.
02. März | Niederpleis
Gerate mit dem Auto in einen Kleinstadt-Karnevalsumzug, Clowns, Podolski-Trikots, Piloten und die Biene Maja; ein Panzerknacker hält mir ein Kölsch ans Fenster, ich zeitlupe stumm hinter der Straßenreinigung bis zur ersehnten Kreuzung, der Himmel war strahlend blau.
01. März | Buchhandlung
Karneval in Köln, zwei Fluchtoptionen: Nordsee und die Jandl-Werkausgabe (große Lösung) oder Lieferando und frische Gedichte von Jennifer de Negri (kleine Lösung, auch voll okay).
28. Februar | August-Sander-Park
Spätabends sitzen die Hasen auf der Wiese, stoisch starren sie geradeaus, gänzlich unbewegt: habe das Gefühl, sie wissen was – aber sie reden nicht mit mir.
27. Februar | Stadtgarten
Immer, wenn ich mir keinen Reim auf zeitgenössische Gedichte machen kann, erinnere ich mich an Ingold oder jemanden dieses Schlages, der sinngemäß sagte, Verstehen werde überbewertet; dann gehe ich eine Runde mit dem Hund und lese in der Badewanne ein paar Seiten Bichsel oder Bernhard.
26. Februar | Zuhause
Ein Kaffee auf dem Balkon, morgens, dem Regen zuhören, den Fahrradklingeln, irgendwo streiten zwei; nichts sonst.
25. Februar | Literaturhaus
Gestern, bei der Lesung von Bastian Schneider und Petra Piuk, werden zu ihren Texten Fotografien gezeigt, darunter eine mit der fetten Zeile Before I die I want to und darunter Platz für handschriftliche Antworten wie Visit Hamburg oder, mein Favorit, Eat Everything.
24. Februar | Klingelpütz
Endlich wird es milder, das Licht und die Singvögel kehren zurück; aber mit ihnen auch die Menschen, in ihren grausigen Übergangsjacken.
23. Februar | St. Augustin
Unbegreiflich, immer wieder, wie sich diese Straßen, die Häuser einfach nicht verändern, über all die Jahre; ich kam mit aufgeschürften Knien vom Fußball, kickte eine leere Coladose vor mir her, nun spaziere ich über denselben Weg mit meinem Vater, der den Kinderwagen meiner Tochter schiebt; ich bin kurz erleichtert, als mir auffällt, dass gegenüber der Zigarettenautomat weg ist – hier kostete eine heimliche Schachtel Lucky Strike mal 4 Mark.
22. Februar | Innenstadt
8:57 Uhr, drücke aus Versehen in der Billig-Bäckerei Latte Macchiato statt Cappuccino, sieht gleich aus, kostet gleich, schmeckt gleich; wenn du hättest, was ich brauche, wär ich nicht daran interessiert, ballert Badmómzjay in meine Inears, fast überrollt mich draußen ein DHL-Transporter, ich verschütte etwas Cappuccino auf meinen Mantel. Oder Latte, wer weiß.
21. Februar | Sofa
Die eindrücklichste Szene der Les Miserables-Verfilmung von Tom Shankland: der zerlumpte Ex-Sträfling Jean Valjean schleppt als Hilfsarbeiter zwei Weinfässer auf seinen Schultern durch die sengende Mittagshitze des Marktplatzes von Digne. Dabei wird er von zwei Gendarmen beäugt, die an einem Wirtshaustisch sitzen und Wein aus geschwungenen Kelchen trinken.
20. Februar | Sofa
Zarte Besaitung dieser Tage, ein Beispiel: in einer Dokumentation über Kubas Küsten kullern neugeborene, glänzende kleine Schildkröten über die Dünen, krabbeln ungelenk über den Sand Richtung Meer – plötzlich ein gewaltiger Schatten, die Flügel eines Greifvogels legen sich über den Winzling: ich muss sofort umschalten.
19. Februar | WDR Funkhaus
Januar: Abgabefristen für Ausschreibung und eine Literaturzeitschrift, Texte schreiben für eine Anthologie, Lesung in Schleswig-Holstein, eine Woche POETICA, Moderation im Literaturhaus, Fahnenkorrekturen, Kinder abwechselnd krank, erhebliche Schlafstörungen; Februar: Fensterplatz im Café, Leuten auf dem Weg zur Arbeit nachsehen, jede Lektüre frühzeitig abbrechen, ein paar Booking-Anfragen im Bett beantworten, Arbeitsbeginn vom Stipendium auf März verschieben und wieder überzeugt sein: alles okay, geht schon.
18. Februar | Agneskirchplatz
Inmitten dieser unerträglich angespannten Weltlage begegnet mir im Bücherschrank, zwischen Trivialem und einem Handbuch zu Orchideen, völlig überraschend Angela Davis: Freedom is a constant struggle.
17. Februar | Küche
Gesammelte Substantive aus der ersten Folge Ich heirate eine Familie (1983): Ärger, Appetit (2), Augenblick, Baby, Babyausstattung, Bauchschmerzen, Begleitung, Besprechung, Besuch, Bett (3), Blondine, Büffet (3), Büro, Champagner, Dame (4), Diätbier, Diktat, Disco (2), Ehe (4), Eis, Elternabend, Enttäuschung, Fehlkonstruktion, Fernseher, Fieber, Frau (11), Freund (3), Haus (5), Hausfrau, Herrchen (3), Idee (3), Kaffee (2), Kegelbahn, Kinder (15), Kräuterbutter (3), Kuss, Lichtblick, Mann (12), Muttertier, Namensgedächtnis, Ober (2), Oper (2), Party (3), Reitpferd, Rentenalter, Rostlaube, Scheidung, Scheidungsanwalt, Schlafzimmer, Schlüssel (5), Schluss, Schuld (2), Schularbeiten, Seitensprung, Sommerreise, Sonntag, Speisekammer, Steak.
16. Februar | Schlafzimmer
Noch knapp zwei Monate bis zum Abschlussball von P, muss mich langsam entscheiden, ob ich nun abnehme oder mir einen neuen Anzug kaufe; mittags dann Verabredung bei Freddy Schilling.
15. Februar | Buchhandlung
Ich möchte mich eigentlich nur noch mit Dingen beschäftigen, die nichts sollen, nichts wollen und niemandem nützlich sind.
14. Februar | Stadtgarten
In einem ihrer Songs höre ich an der Stimme von Nina Chuba, wie sie schmunzelt über eine giftige Punchline, ich schmunzle zurück, ziehe den Mantelkragen hoch, drücke repeat.
13. Februar | Sofa
Mit innerer Unrast blättern, lugen in neue Bücher, über Zeilen fahren, schwebend, Arno Frank, Sara Gmuer, sie rasch weglegen, neue aufschlagen, im Sinkflug schweben über Druckerschwärze, Glattauer, Prödel, Kadare, dann endlich, zuletzt, bei Brasch: bleiben. Wo ich nie gewesen bin.
12. Februar | Zuhause
Drei Stunden ist NetCologne down, kein Netz, nirgends, keine Mails, kein Messenger, man fühlt sich wie auf Tristan da Cunha, leichte Panik, als sei vollkommen unklar, ob man diese Leere überstehen wird; es kann jeden Moment vorbei sein. Ist es aber nicht (sobald wieder etwas funktioniert, werde ich das hier posten).
11. Februar | Bett
In Kerouacs Biografie zu lesen, ist wie sich die Hände zu wärmen an fremdem Feuer.
10. Februar | Küche
Heute habe ich Chantal Akermans Jeanne Dielman gesehen. Lange hat mich kein Film so bewegt und bestürzt. Eine einzige Erschütterung, mit präzise gezogenen Linien, denen man nachspürt, wieder und wieder; dazu im filmischen Handwerk drastisch und von eisiger Kälte; ich werde in nächster Zeit keine anderen Filme mehr schauen.
09. Februar | Museum Ludwig
Mit P und L schlendern durch die 1. Etage, an Richter, Twombly vorbei, zu Pollock, schließlich endet wie immer alles bei Yves Klein (Monochrome bleu, IKB 73) – wir drei, in Stille, schauen, Kinder des Südens und des Lichts, schauen in den Himmel über Nizza, Barcelona, Mykonos; suchen Sommer, finden ihn.
08. Februar | Buchhandlung
Morgens in der grauen Grossistenwanne, ein vor Wochen bestellter, mir noch unbekannter US-Titel über die Sopranos: Mittagspause gerettet, Laune gerettet, Tag gerettet; ein wunderbares Sammelsurium voller Belanglosigkeiten, Zitat Tony Soprano: You are born to that shit. You are what you are.
07. Februar | Café Schmitz
Ein Cappuccino, ein Croissant, am Tisch in der Ecke, neben der Heizung, mit jemandem, den man mag – werktags, kurz vor 10, leichter Nieselregen legt sich auf die Fenster, Handy lautlos, raschelnde Tageszeitungen. Es sind die kleinen Dinge.
06. Februar | Café Toré
Die halbe Nacht wach gelegen und dabei nicht einen guten Einfall, nur Stumpfsinn.
05. Februar | Sofa
Fans des 1. FC Köln vernebeln durch Pyrotechnik nach Anpfiff des Pokalspiels die komplette Bayarena; während der Wartezeit kann ich mich nicht entscheiden, welches T-Shirt ich bestellen soll: entweder mit Schriftzug Undiagnosed but something ain’t right oder Pancakes and Panic attacks, beides blau auf weiß. PS: 40 Minuten später führt Köln 1:0 und in 5 Tagen kommt das Pancakes-Shirt.
04. Februar | Küche
Blättere durch Zeitungen der letzten Tage (bevor der Fisch rein kommt): Udo Jürgens‘ Piano wird versteigert, alle nicken zum Huchel-Preis für Olga Martynova, am BER belaufen sich die Kosten für einen abgestellten Golf nach einem Jahr im Kiss&Fly-Bereich auf rund 200.000 Euro, ein Tröpfchen Espresso nässt in Max Dax‘ Lobeshymne aufs neue Weeknd-Album und vielleicht hat Tore Renberg ein interessantes Buch geschrieben, aber als ich im Kühlschrank keinen Fisch finde, habe ich alles schon wieder vergessen.
03. Februar | Innenstadt
Man muss dieser Tage hart im Nehmen sein, ausgeruht und innerlich gefestigt, um all diese zur Wahl stehenden, ins Leere grinsenden Visagen, ihre Phrasen an den Masten zu ertragen; montags ist es am gefährlichsten, wenn’s irgendwie geht, bleibt man besser zuhause.
02. Februar | Stadtgarten
Kürzlich sah ich La Fleur du mal, einen späten Chabrol, und obwohl die Altersmilde seinen Figuren viel Vehemenz und Schärfe genommen hat, schaue ich 99 Minuten gebannt auf das Spiel der Protagonistinnen (Männer haben nur Nebenrollen); Mélanie Doutey blieb sogar bis spät in die Nacht.
01. Februar | Buchhandlung
Was vom neuen Handke-Büchlein übrig bleibt: viel Schleierhaftes, Bildungshuberisches, das hübsche Wort Haselstockschnitzer und die charmant-unsinnige Auseinandersetzung mit dem eigenen Tageshoroskop – dort heißt es: Vorsicht vor zu großer Überanstrengung. Misch dich unter lustige Menschen. Du wirst dann ganz schnell erkennen, wie eine Begegnung dich stark inspiriert. So weit die Theorie, so weit der Tag.
31. Januar | Küche
Brot und baskischer Käse, zu heißer Kaffee, im DLF die Todesnachricht von Marianne Faithfull, finde die Broken English-LP nicht, verbrannte Zunge, ein Anruf im Plattenladen.
30. Januar | Balkhausen
Grau, grau, Regengrau, Kinder krank, der Hund will immer was und ich will gar nichts mehr, letzte Rettung: ein Schokoweckchen, ein Amerikaner, ein Mandelhörnchen, hintereinander, aus der Tüte; kurzer Trost, dann wieder Regen.
29. Januar | Literaturhaus
Sehr angenehme Moderation gestern (mit Tabea Soergel & Martin Becker), irgendwann fiel jener bemerkenswerte Satz von Egon Erwin Kisch: Bedarf die Gestaltung der Wahrheit keiner Phantasie? Karteikarten und Ricola, Applaus, später Reissdorf, alles okay.
28. Januar | Sofa
Sehe auf arte eine Dokumentation über The Cure, ein britischer Musikjournalist sagt darin sinngemäß: Die Band, die bei dir ist, wenn du traurig bist, ist die Band, die du immer lieben wirst. Beim Jubiläumskonzert im Hyde Park 2018 steht auf Robert Smith‘ Gitarre Itcanneverbethesame – immerhin: seine Stimme und meine Liebe sind erstaunlich frisch geblieben.
27. Januar | Küche
Raphael Urweider erzählte letztens in Köln eine schöne Anekdote über seinen Großvater: Dieser war zeitlebens Jäger und als seine Augen zu schwach wurden, er also nicht mehr jagen konnte, hat er nie wieder Fleisch gegessen.
26. Januar | Foyer Rautenstrauch-Joest-Museum
Manchmal will ich nur tagelang alleine vor dem Fernseher liegen, Tiefkühlessen essen, ohne Besteck, und mit meiner Mutter telefonieren, die mir sagt, dass diese Welt ein guter Ort ist. Stattdessen koche ich Quinoa und Kakao, wische Oberflächen, bin rund um die Uhr mit Nichtigem beschäftigt; im Radio zwischen Brahms und Rimski-Korsakow: Gaza, Kiew, Südsudan, und meine Mutter ist über 13 Jahre nicht mehr auf der Welt.
25. Januar | Hartenholm
Rückfahrt von der Lesung; die Schilder am Wegesrand, Ortsausgang Hasenmoor (bis zur Auffahrt A7 Richtung Hamburg): Honig, Tannengrün, Kartoffeln, Enten, Spargel, geräucherte Saiblinge, Eier, Haustüren. Und auf NDR 1 singt Dewey Bunnell: I‘ve been through the desert on a horse with no name. It felt good to be out of the rain. In the desert you can remember your name.
24. Januar | Kulturhaus Boon
Im Gästebett habe ich die letzten drei Seiten eines Romans von Alessandro Baricco (den Titel habe ich schon vergessen) gelesen, den ich aufgeschlagen auf meinem Nachttisch fand – ich hatte Mühe, nicht augenblicklich einzuschlafen, es war so unerhört schwachsinnig.
23. Januar | Sofa
Beim Walk on Court zum Halbfinale der Australian Open tragen Paula Badosa und Aryna Sabalenka pastatellergroße Kopfhörer, fixieren das Acryl vor ihren Füßen, die Zuschauer klatschen und rufen ihre Namen, derweil die Kommentatorin von Eurosport ehrfürchtig bemerkt, dass man als Spielerin beim Betreten der Rod Laver Arena reichlich Gänsehaut bekomme, im Angesicht der Atmosphäre.
22. Januar | Kulturkirche
Die besten 7 Sekunden des Tages: ich stehe am dicken Bleiglasfenster der Flügeltür und schaue ins Kirchenschiff, drinnen Soundcheck, gedämpftes Licht, nervöse Menschen wie Ameisen und plötzlich nähert sich jemand behutsamen Schrittes, bis ich Michael Krüger erkenne, der mit seiner Nase die gegenüberliegende Seite der Scheibe berührt; wir sehen uns in die Augen, lächeln uns an.
21. Januar | Buchhandlung
Es ist sicher Zufall, dass mit fortschreitendem Niedergang der Ratgeber-Literatur meine eigene Ratlosigkeit stetig zunimmt.
20. Januar | Universität zu Köln
Sjón sagte am Abend der POETICA-Eröffnung: Only poetry can save us. Mir machte sie vor allem den Rücken krumm, weil ich all die Kisten mit den unverkauften Büchern nicht ins Taxi kriege.
19. Januar | Bett
Bleierne Müdigkeit und Unruhe, will keine Nachrichten, keine Lektüre, kein Gespräch; es braucht schließlich ein schnarchendes Kleinkind neben mir, um meinen Atem runterzupegeln.
18. Januar | Buchhandlung
Habe länger in einer kürzlich erschienenen Gedichtsammlung von Alda Merini gelesen, fand kaum Zugang zu den Texten, das meiste blieb mir fremd und die Sprache scheint schlecht gealtert; immerhin dies gefiel mir sehr: (…) Ich bin grausam, ich weiß es, / doch dies ist der Dichter-Jargon: / ein langes, glühendes Schweigen / nach einem noch längeren Kuss.
17. Januar | Copenhagen Coffee Lab
Moderne Fußballwelt: der Falkner, der im Olympiastadion vor Heimspielen von Lazio Rom einen Adler kreisen lässt, wird entlassen, weil er auf Facebook über die gewonnene Lebensqualität durch eine Penisprothese berichtete; als er früher in der Kurve mit römischem Gruß Benito Mussolini huldigte, stellte dies für seinen Arbeitgeber hingegen keinen Kündigungsgrund dar.
16. Januar | Sofa
David Lynch ist gestorben und man nimmt es zur Kenntnis, eine abstrakte Meldung am Ende der Tagesthemen, gleichmütig und dankbar, voller Zuneigung im Wissen um seine Unsterblichkeit.
15. Januar | Museum Ludwig
Ich gehe bei jenen Gemälden, die ich mir immer wieder anschaue, ganz, ganz dicht an die Leinwand, bis ich die einzelnen Fasern, Pinsellinien, die Texturen erkenne; so sehe ich Pollock, Dix, Yves Klein und Warhol eigentlich nur im Detail, im Ausschnitt, auf wenigen Quadratzentimetern; nicht, um ihnen auf die Schliche zu kommen, einfach nur, um ihnen so nah wie möglich zu sein, sie fast zu riechen, zu berühren.
14. Januar | Küche
Oliviero Toscani, der einzige Modefotograf, der mich jemals interessierte, war gar keiner.
13. Januar | Café Italia
Forscher in Oxfordshire haben kürzlich Fußabdrücke von Dinosauriern entdeckt, ungefähr 160 Millionen Jahre alt, was da alles an Wind, Wetter, Katastrophen drüber gefegt ist und nun pinseln sie so akribisch-vorsichtig um die Abdrücke, als kämen sie von der Spurensicherung eines Vorabendkrimis.
12. Januar | Sofa
Der kleine Pip in der Dickens-Verfilmung schaut – aus Furcht, als Pastetendieb entlarvt zu werden – so ertappt und aufgeregt spitzbübisch aus der Wäsche wie Hugh Grant über hundert Jahre später auf den Mug Shots des L.A. Police Departement, nachdem er Liz Hurley mit einer Prostituierten betrogen hatte.
11. Januar | Bastian’s
Seit Tagen wird mir rund um die Uhr die neue EDEKA-Payback-Kampagne in sämtliche Timelines gespült: Ich sehe mir zehnmal hintereinander an, wie eine hinreißende Angestellte drei blaue Bälle jongliert, aus dem Takt gerät, zwei fallen lässt, wie sie in die Kamera lächelt, wie sie lacht. Jetzt liebe ich sie, möchte wissen, wer das ist und mit ihr nach Peru ziehen.
10. Januar | Linie 15
Ausnahmsweise KVB, Kurzstrecke. Ich schwanke zwischen Verachtung und Zärtlichkeit; morgen wieder Fahrrad.
09. Januar | Küche
Gesammelte Substantive aus der ersten Alf-Folge von 1986: Alf (9x), All, Asteroid, Außerirdischer (2), Behörde, Besuch, Bier (3), Erde, Ersatzteil, E.T., Falle, Familie, Fledermaus, Freund (3), Freundschaft, Gammastrahl, Gekreische, Gott, Haus, Herde, Herz, Himmel, Hoffnung, Hunger, Infrarotfunkband, Katze / Kater (9), Katzenfutter (2), Kind, Konstruktion, Kontakt, Kontrolle (2), Kosmos, Labor, Leben, Licht (2), Lichtjahr (2), Limonade (3), Melmac (5), Null Problemo (7), Ordnung, Pyjamaparty, Planet (4), Raumschiff (4), Satellit, Schraubenschlüssel (6), Sesamstraße, Signal, Sprache, Stern, Telefon, Teleskop, Trick, Verbindung, Vorbild, Weltraum (2), Wesen (2), Wirklichkeit.
08. Januar | Buchhandlung
Beim Blättern in den Verlagsvorschauen fürs Frühjahr wird mir schwindelig in Anbetracht der Masse an Büchern, die ich nicht lesen möchte.
07. Januar | Kölnisches Stadtmuseum
Durch die Gänge schlendern, Römer, Nazis, Karneval, kein geeignetes Motiv für Instagram finden – ist man dann überhaupt da gewesen? – und sich beim Verlassen vornehmen, es aber wenigstens im Journal zu erwähnen.
06. Januar | Zuhause
Lichter, Engel, Sterne und Kugeln kommen in die Kiste, die Tanne fliegt zwei Stockwerke aus dem Fenster, zerspringt krachend auf dem Asphalt und dann ist fast schon Kindergeburtstag, fast schon Karneval.
05. Januar | Sofa
Jedes Mal, wenn ich einen französischen Film sehe, gerade Truffauts Tisch und Bett, möchte ich rausgehen und mir einen Anzug kaufen und eine Packung Gitanes.
04. Januar | Küche
Ich lese in den Aufzeichnungen von der Reise nach Brüssel, finde darunter eine Auflistung der Nagelstudios, die sich in der Galerie du Centre nahe unserer Unterkunft aufreihten: Saigon Nails, New York Nails, Kims Nails, Bruxelles Nails, King Nails, Queen Nail, Euro Nails, Nail City, Paris Nails, Shenail, Nails 68, Tokyo Nails, Mango Nails, Top Nails, Oh La La. Ich habe nichts hinzugefügt, nichts ausgedacht.
03. Januar | Café Schmitz
Lese allerorten begeisterte Kritiken über einen ziemlich misslungenen Film, den ich nur wegen Charly Hübner bis zum Ende geschaut habe; frage mich schon lange nicht mehr, ob mit mir oder dem Rest etwas nicht stimmt.
02. Januar | Kölner Zoo
Die Flamingos standen direkt am Rand des Geheges – wie ruppig sie sich anrempelten und wie sie müffelten nach abgestandener Nässe; die alte Story von der Nähe und der Illusion, wie beim Anstieg auf Sacré-Cœur, ihrem überbordenden Kitsch.
01. Januar | Sofa
Gestern Abend las ich in Thomas Sparrs Zauberberg-Buch über Castorps Liebeleien, befürchtete schon Alpträume von ausgeliehenen Bleistiften, bis ich in die ARD-Silvester-Schlagerparty zappte.